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Vom Kreisverkehr zum Betriebserlebnis (2) |
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Das BetriebserlebnisNach der vielen Theorie auf der vorangehenden Seite wollen wir uns zur Abwechslung mit der Praxis beschäftigen: Wir führen einen Güterzug von Seldwyla nach Obertupfingen. Zur Abwechslung befinden wir uns nicht in Epoche III/IV (1950-1985), sondern in Epoche V. Damit möchte ich zeigen, dass auch mit modernen Zügen durchaus ein glaubwürdiger Güterverkehr möglich ist. Die Landschaft, durch die unser Zug fährt, ist noch nicht fertig durchgestaltet. Das macht nichts! Im Gegenteil: Man muss mit dem Betrieb nicht warten, bis die Anlage "fertig" ist. Nicht mal die Elektrik muss fertig sein: Notfalls kann bereits mit einer provisorischen Elektrik gefahren werden. Doch genug geplaudert! Es ist Zeit, die Lok unserers Güterzugs zu besteigen.
In Gleis 2 von Seldwyla steht die Am 842 zur Abfahrt bereit. Am Haken sind sechs Güterwagen für Obertupfingen. Der Lokführer und der Zugführer/Schaffner/Rangierleiter befinden sich bereits im Führerstand. Die beiden erwarten uns schon! Der Diesel grummelt leise vor sich hin. Nachdem das Ausfahrsignal auf Grün gewechselt hat, heult der Diesel auf und der Zug setzt sich in Bewegung.
Schon befinden wir uns beim ausgedehnten Waldstück zwischen Seldwyla und Obertupfingen. Hier, auf freier Strecke, befindet sich das Anschlussgleis der Holzkorporation. Es ist ein Wagen mit Langholz mitzunehmen. Der Lokführer hält den Zug vor der Anschlussweiche. Der Rangierleiter schnappt den von schwarzem Schmierfett beschmutzten orangen Arbeitsmantel, Funkgerät, die dicken Handschuhe und den Weichenschlüssel und verlässt den Führerstand. Darauf zieht der Lokführer den Zug über die Weiche und hält an. Nachdem der Rangierleiter die Schlüsselweiche entriegelt und umgestellt hat, teilt er dem Lokführer über Funk mit: "rückwärts anfahren!" Der Lokführer fährt den Zug langsam rückwärts. Der Rangierleiter springt am hinteren Ende auf.
Langsam nähert sich die Wagenschlange dem abzuholenden Langholzwagen. "Waaagenlang! Halbe! Vier! Zwo! Eins! Anhalten!" tönt es aus dem Funk. Mit einem sanften Knall fährt der Zug an den Langholzwagen an. Der Rangierleiter hat sich die Handschuhe übergestreift, hängt die Spindelkupplung ein und kuppelt die Hauptluftleitung. Mit einem leisen Zischen füllt sich der Hauptdruckbehälter des Langholzwagens. Der Rangierleiter ist inzwischen unter den Puffern hervorgekrochen und löst die Handbremse des Langholzwagens. Während der Bremsprobe nimmt der Rangierleiter die Zugschlusstafel vom nun zweithintersten Wagen und steckt sie an den Rungenwagen mit Langholz - unser neuer Zugschluss. Der Zug ist bereit für die Weiterfahrt. "Vorwärts anfahren!" tönt es aus dem Funk.
Der Lokführer zieht den Zug wieder bis über die Weiche und hält an. Der Rangierleiter bringt die Weiche in Grundstellung und entfernt den Schlüssel. Dann geht er dem Zug entlang zur Lok und klettert zu uns in den Führerstand. Der Lokführer lässt den Diesel aufheulen. Weiter geht's!
Die Lok hat auf der 42 o/oo Steilrampe ihre liebe Mühe mit den sieben Wagen. Es geht gerade noch. Der Diesel brüllt auf Vollast - 1100kW. Doch es geht nur langsam bergan. Schon passieren wir das Einfahr-Vorsignal von Obertupfingen: "Fahrt 2 Stern", Langsamfahrt erwarten. Da es steil bergauf geht, kann sich der Lokführer noch etwas Zeit lassen mit dem Einleiten der Bremsung.
Wir passieren das Einfahrsignal von Obertupfingen. "Fahrt 2", Langsamfahrt. Der Lokführer hat die Geschwindigkeit auf 40km/h reduziert. Da Obertupfingen ein Endbahnhof ohne Durchfahrmöglichkeit ist, hat der Lokführer unterwegs auch eine "Bremsprobe auf Wirkung" durchgeführt. Daher ist er sicher, dass er den Zug sicher wird anhalten können.
Wir fahren auf Gleis 3 ein. Die gusseisernen Bremsklötze quietschen jämmerlich in den Ohren. Doch unser Zug hält punktgenau an. Die Luft über der heissen Motorhaube flimmert, der Lüfter ganz vorne hat viel zu tun. Sogleich setzt sich die S-Bahn auf dem Gleis nebenan in Bewegung.
Der Zugführer/Schaffner/Rangierleiter verlässt den Führerstand, meldet sich beim Fahrdienstleiter im Bahnhofgebäde und kündigt die auszuführenden Rangierarbeiten an. Der Fahrdienstleiter stellt darauf die Entgleisungsweiche im Ausfahrgleis auf Ablenkung. Die Entgleisungsweiche soll entlaufene Wagen zum Entgleisen bringen, so dass sie nicht die Steilrampe hinunterrollen können. Sicherheit geht vor!
Auf Anweisung des Rangierleiters drückt der Lokführer den ganzen Zug zurück, so dass die letzten drei Wagen jenseits der Einfahrweiche zu stehen kommen. Der Rangierleiter kuppelt die drei Wagen ab und trennt auch die Kupplung zwischen den beiden Kesselwagen und dem Langholzwagen. Darauf zieht der Lokführer die verbliebenen vier Wagen wieder ins Gleis 3 vor. Dort werden auch diese abgehängt und stehen gelassen.
Der Rangierleiter klettert auf die Plattform der Lok, welche darauf zum Prellbock vorzieht. Nachdem der Rangierleiter beim Fahrdienstleiter über Funk das Umsteuern der Weichen verlangt hat, umfährt die Lok die Wagen auf Gleis 3 und fährt sanft an die beiden Kesselwagen an.
Auf Gleis 1 an der Rampe steht ein Rungenwagen mit einem Container. Dieser ist entladen und bereit für die Abfuhr. Die Lok wechselt auf Gleis 1 und fährt sanft an den Rungenwagen an. Anschliessend zieht die Lok weiter vor in Richtung Prellbock, bis die Weiche zum Brennstoffhändler frei wird. Auf dessen Anschlussgleis stehen zwei entleerte Kesselwagen, die ebenfalls bereit sind für die Abfuhr.
Wir rangieren die beiden leeren Kesselwagen vom Anschlussgleis ins Ausfahrgleis und kuppeln sie an den Rungenwagen mit Langholz. Anschliessend stellen wir die beiden neuen Kesselwagen aus unserem Zug ins Anschlussgleis des Brennstoffhändlers.
Nun holen wir die drei Wagen "Abfuhr" vom Ausfahrgleis und ziehen sie ins Gleis 2. Dort lassen wir sie stehen. Nun müssen wir die Wagengruppe umfahren.
Unterwegs holen wir noch die beiden vollen Getreidewagen von der Verladestelle der landwirtschaftlichen Genossenschaft. Diese befinden sich am Prellbock von Gleis 1. Abermals tönt es "Waaagenlang! Halbe! Vier! Zwo! Eins! Anhalten!" aus dem Funk.
Bereits haben wir die Wagengruppe auf Gleis 2 umfahren und die Getreidewagen sowie den Containerwagen zu den Wagen auf Gleis 2 gestellt.
Die Lok fährt nach Gleis 3 an die verbliebenen vier Wagen. Zwei davon sind für die Migros bestimmt. Wir fahren also mit den Wagen zum Migros-Anschlussgleis und holen zunächst zwei bereits geleerte Wagen ab, die ebenfalls bereit sind für die Abfuhr.
Die beiden Leergutwagen stellen wir zum Prellbock von Gleis 2. Sie haben gerade Platz, so dass die Weiche noch umgestellt werden kann.
Nachdem die beiden neuen Migros-Wagen zugestellt sind, fahren wir die verbliebenen zwei Wagen nach Gleis 1. Den Schiebewandwagen stellen wir im Freiverlad ab. Er enthält Landmaschinenteile auf Palletten, die der örtliche Landmaschinenmechaniker mit dem Hubstapler entladen wird. Den anderen Wagen - einen offenen E - stellen wir an die Rampe. Er wird am Samstag von der lokalen Pfadfindergruppe mit Altpapier beladen werden.
Alle Wagen sind zugestellt! Beinahe geschafft. Wir fahren mit der Lok vorne an die Wagengruppe und holen auch die beiden Leergutwagen am Prellbock ab. Ein letztes Mal plärrt der Funk: "Waaagenlang! Halbe! Vier! Zwo! Eins! Anhalten!" Anschliessend zieht der Lokführer den Zug ein wenig vor, so dass der Zug vollständig in Gleis 2 steht und die Weichen auf beiden Seiten frei sind. Der Zugführer/Schaffner/Rangierleiter macht den Zug fertig: Kupplungen kontrollieren, Bremsleitungen kuppeln, Bremsprobe, Zugschlusstafel am letzten Wagen einsetzen.
Unser Zug ist bereit für die Rückfahrt. Höchste Zeit! Denn schon fährt der nächste Zug der S-Bahn auf Gleis 3 ein.
Das Ausfahrsignal wechselt auf Grün: "Freie Fahrt". Der Zugführer klettert zu uns in den Führerstand, und der Lokführer lässt den Diesel aufheulen. Langsam setzt sich unser Zug in Richtung Seldwyla in Bewegung. In einigen Minuten werden wir den Ausgangspunkt unserer Reise erreicht haben.
Mittelmass oder Charakter?Draussen auf den Strassen sind zahlreiche Menschen unterwegs. Sie sind alle gleich langweilig. Bis ich mich auf sie einlasse - mich in ein Gespräch verwickeln lasse, das über Belanglosigkeiten hinausgeht. Die Geschichten dieser Menschen sind es, die sie interessant machen und zu ganz persönlichen Charakteren werden lassen, die über das Mittelmass hinaus ragen. Bei den Modellbahnanlagen ist es ebenso. Die Geschichten sind es, die die Anlage lebendig werden lassen. Geschichten können auf ganz vielfältige Weise erzählt werden:
In jedem Fall geht es darum, dass da nicht einfach ein Zug von A nach B fährt, sondern der Zug erfüllt ein ganz konkretes Transportbedürfnis. Und in dem Zug fahren Menschen mit, die Geräusche hören, Gerüche riechen und Arbeitsschritte verrichten. Je detaillierter wir uns auf diese kleine Welt einlassen, desto lebendiger wird sie. Denk dir eine Geschichte zu deiner Modellbahn aus, die den Rahmen für den konkreten Betrieb abgibt. Dazu können folgende Fragen eine Hilfe sein:
Wo liegt deine Bahn?
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